Ein verständiges Herz

Man ist im Herzen jung (Foto: Edu Carvalho via Pexels)
Man ist im Herzen jung (Foto: Edu Carvalho via Pexels)

Wir stehen der Objektwelt nie neutral gegenüber, sondern wir sind immer in Beziehungen verwoben. Über diese zu reflektieren dient der menschliche Verstand.

„Siehe, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht.“ – 1 Kön 3,12

Im 18. Jahrhundert, teils auch heute noch, herrschte ein sehr mechanisches Verständnis über den Menschen vor. Körperteile wurden wie Maschinenteile klassifiziert, deren bloße Funktionalität manchmal sogar mit dem Sinn des Lebens gleichgesetzt. Decartes‘ Erkenntnis „Cogito ergo sum“ kann so leicht missverstanden werden, wenn der Gedanke mit dem Denken verwechselt wird. Das führte dann oft zu irrigen Annahmen über das menschliche Wesen und darüber, was Bewusstsein ist. Noch heute glauben nicht wenige Leute, Bewusstsein sei ein Speicherzustand von Wissensinhalten – womit wir dann allerdings, zugespitzt, auch Computerfestplatten oder Büchern ein Bewusstsein zusprechen müssten.

Stattdessen vollzieht sich Menschlichkeit in den Bezügen, die wir mit unserer Umwelt eingehen, im Webnetz der Beziehungen. Wenn wir das bewusst tun, das Verknüpfen, sind wir uns darüber im Klaren, bewusst. Um die Beziehungen bewerten zu können, was ein Teil von Reflexion ist, bedarf es der Gefühle. Ohne Gefühle ist es Menschen nicht möglich, zu bewussten Urteilen über die Welt und das menschliche Sein darin zu kommen. Folglich wäre es absurd, zu glauben, wir kämen zu einer objektiven Sicht der Dinge, einfach, indem wir die subjektiven Gefühle unterdrücken würden. Statt Objektivität wäre dann nur Gefühlskälte und Ignoranz die Folge und ein Unvermögen, unsere subjektiven Vorstellungen von der umgebenden Wirklichkeit zu trennen. Würden wir so denken, hätten wir keine Vernunft.

Verstand und insbesondere Vernunft ist das Vermögen, die eigenen Relationen mit der Umwelt nicht nur zu bewerten, sondern sich dieser Bewertungen und Gefühlshaltungen dann auch bewusst zu sein und einschätzen zu können, welche Folgen sie haben. Wir erleben mit unseren Sinnen keine Objektivität, die wir dann danach unzulänglicherweise subjektivieren würden, wir haben nicht vorab Klarheit und trüben diese dann durch Emotionen, sondern umgekehrt – wir nehmen subjektiv Reize aus der Umwelt auf, die wir dann mit unseren Haltungen und Annahmen über die Welt korrelieren – die daraus entstehenden Wertungen sind das, was wir als Gefühle empfinden. Ein objektive(re)s Weltbild entsteht dann erst daraus, dass wir diese recht egoistischen Haltungen in einem weiteren Schritt überprüfen und relativieren. Diese Unternehmung ist natürlich erfolgversprechender, wenn sie nicht ganz selbstbezogen geschieht, sondern mit anderen Bewusstseinszuständen abgeglichen werden kann, weshalb es für uns Menschen essentiell ist, in Gemeinschaft zu leben, denn menschliche Intelligenz ist kein kognitiver Einzelakt, sondern ein Produkt von Sozialinteraktionen und vor allem der Kommunikation. Das erklärt auch die Bedeutung der menschlichen Sprache für unsere Intelligenz.

Wenn ich Aufklärung mit einem mechanistischen Fehlverständnis betreibe, welches emotionale Intelligenz ignoriert und die Tatsache, dass Menschen Sozialwesen sind, dann kann sie nicht erfolgreich sein. Vielleicht erhalte ich dadurch ein paar kluge Lehrsätze, setze sie dann aber nicht in Beziehung, womit sie letztlich rein akademisch bleiben. Um bewusst und aufgeklärt zu leben braucht es ein verständiges Herz, denn ich muss vor allem auch beim emotionalen und sozialen Part ansetzen, der mein Denken und meine Handlungen bestimmt. Das macht die biblische Bitte des Salomo in 1. Kön 3,9 so weise: „Verleihe daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht!“ – Vernunft ist kein kognitiver Denkakt, sondern Empfindsamkeit gegenüber dem Netz der Korrelationen, das uns umgibt. Dazu muss man aufmerksam sein, lauschen, zuhören, in Beziehung setzen, erst dann kann man vernünftige Entscheidungen treffen. Alle anderen menschlichen Kulturleistungen erfolgen dann daraus als Produkt:

„Siehe, ich gebe dir ein weises und verständiges Herz, sodass deinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und nach dir nicht aufkommen wird. Und dazu gebe ich dir, worum du nicht gebeten hast, nämlich Reichtum und Ehre, sodass deinesgleichen keiner unter den Königen ist zu deinen Zeiten. Und wenn du in meinen Wegen wandeln wirst, dass du hältst meine Satzungen und Gebote, wie dein Vater David gewandelt ist, so will ich dir ein langes Leben geben.“ – 1 Kön 3,12-14

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.