Zu den Bands mit stimmigen Sounds gehörte zur Zeit meines Studentenlebens neben Fury in the Slaughterhouse, Sting und A-ha vor allem auch U2. Einer meiner Lieblingssongs ist „I Still Haven’t Found What I’m Looking For…“.
Ich denke, uns singt vor allem die Musik ins Herz, die uns berührt, weil sie für uns stimmig ist. Und jeder Mensch hat so seine eigenen Fügungen. Mich sprechen vor allem jene Töne an, in denen die Sehnsucht klingt. Und ich persönlich denke, dass Sehnsucht die mitunter wichtigste menschliche Grundhaltung ist neben Hoffnung – denn wie das eigene Schicksal auch ausfällt, die Sehnsucht lässt uns weitermachen.
In meiner Studentenzeit und eigentlich auch zeitlebens war ich immer auf der Suche nach Kommunikation und Tiefe, während ich mit Smalltalk und oberflächlichen Emotionen wenig anfangen konnte. Vielleicht macht mich das zu einem religiösen Menschen, denn letztlich habe ich in meinem Leben nie erfüllende Beziehungen gefunden, sehr wohl aber adventliche Gefühle, meist im spirituellen Raum. Dagegen blieb es mir versagt auf Menschen zu treffen, die meinem Leben und mir wirklich dauerhaft Stütze gewesen wären, weshalb meine Fotoalben an Menschenbildern leer sind, die Worte in Gedichtbänden und Essays aber oft sprudelten.
Musik war für mich immer schon eine Quelle von Kraft. Generell habe ich jedoch so meine Probleme mit Männern und ich mag daher bei Gesang auch Männerstimmen eher nicht, es sei denn, ich verspüre in ihnen jene Sehnsucht, die ich kenne und die Tiefe, die ich spüre. Das ist bei Sting der Fall oder manchmal bei Morten Harket von A-ha oder aber bei Bono von U2. Dabei fasziniert mich dann weniger die Klangfarbe der Stimme als der Inhalt und die Fähigkeit der Sänger, tieferen Emotionen Ausdruck zu verleihen.
Ein besonders stimmiger Song ist „I Still Haven’t Found, What I’m Looking For…“ von U2, was ich als Überschrift wohl zumindest über jeden Tag im Tagebuch meines Lebens setzen könnte einerseits, andererseits empfände ich es auch als sehr schlimm, wenn das nicht der Fall wäre, denn „der Mensch kann allzuleicht erschlaffen“, wie der liebe Gott in Goethes Faust anmerkt. Das wäre der Fall, wenn man sich vorschnell mit oberflächlichen Ergebnissen zufriedengeben würde, gerade auch zwischenmenschlich. In diesem Sinne mag ich Spießbürger nicht und wäre dann wohl eher ein Romantiker.
„I Still haven’t found what I’m looking for…“ – der Song findet sich auf U2s 1987 erschienenem Album „The Joshua Tree“ und hat mich so manchen Tag in meinem Freiburger Studentenleben begleitet und auch sehr viel später noch:
I have climbed the highest mountains
I have run through the fields
Only to be with you, only to be with youI have run, I have crawled
I have scaled these city walls, these city walls
Only to be with youU2, „I Still haven’t found what I’m looking for…“
Es scheint ein wenig aussichtslos zu sein. Trotzdem habe ich eigentlich die Suche nach innigen Beziehungen nie aufgegeben und bin, wie in U2s Song geschildert, dafür auf höchste Berge gestiegen (obwohl ich das überhaupt nicht mag) und über weite Felder gelaufen. Dabei fühlte ich mich oft allein, manchmal auch einsam, aber wie auch das lyrische Ich im Song habe ich dabei die Suche nie aufgegeben. Zwischenzeitlich habe ich es aber aufgegeben, das Du in Menschen zu suchen, weil mir mehr und mehr klar wird, dass sich mein Leben in einer Randwelt abspielt und ich in diesem Universum keine zwischenmenschliche Erfüllung mehr finden werde, wohl aber spirituelle Tiefe im Transzendenten, die manchmal in mein Leben hindurchscheint wie die Sonne durch den Nebel kalter Dezembertage.
Leben auf Erden ist eben kein lauer Sommertag. Das macht aber nichts, solange man die Sehnsucht behält und das ist auch das Thema von „I Still Haven’t Found, What I’m Looking For…“, dem eine spirituelle Dimension innewohnt, wie sie auch Klagepsalmen zu eigen ist. So ist der Popsong, worauf auch U2 selbst schon hinwies, eher Gospel als Lovesong und betont werden eher Zweifel und Sehnsucht als billige Liebesphrasen. Das macht den Song für mich singbar und er hat es auch schon in vielen Kirchen auf die Hitliste geschafft.
Doch es ist nicht der Text allein, der dem Song Tiefe verleiht, sondern auch, wie er im Original von Bono gesungen wird:
„The genius of the chorus is in its first two words […] There’s the leap from ‚I still‘ and ‚haven’t found.‘ That ’still‘ emphasized in the melody tells you he’s been looking for a long time. It’s a simple thing. But it’s a profound thing.“
„Die Genialität des Refrains liegt in den ersten beiden Worten […] Da ist die Zäsur zwischen ‚I still‘ und ‚haven’t found‘. Das in der Melodie hervorgehobene ’still‘ verrät, dass das lyrische Ich schon lange Zeit auf der Suche ist. Es ist eine einfach formulierte Sache. Aber es ist eine tiefgründige Sache.“
– Jon Pareles, Musikredakteur der The New York Times
Wir haben es hier nicht mit billiger religiöser Popmusik zu tun, die Glauben vorschnell verherrlicht, sondern mit einer eher ambiguinen Haltung, die sich zwischen Zweifel und der Sehnsucht nach Erfüllung erstreckt. Das macht den Song modern – und es macht den Song aber auch biblisch im Sinne der Psalmen, wo es um den Prozess der Gottessuche geht, nicht um das Verteilen billiger Versprechungen.
Für Josua Rothman, der für The New Yorker das Werk von U2 untersucht hat – beispielsweise in seinem bekannten Artikel „The Church of U2“ – ist es ein Song, der die Sehnsucht geradezu zelebriert:
„It’s a song about searching for meaning or transcendence […] And to me, the most interesting thing about it is that you don’t find it. It’s about the search.“
„Es ist ein Song über die Suche nach Sinn oder Transzendenz […] Und für mich daran das Interessanteste ist, dass du es nicht findest. Es geht um die Suche.“
– Josua Rothman, The New Yorker
U2s Sprache ist emotional deutlich, bleibt in den Formulierungen aber vage und benutzt eine zeitlose Bildsprache, wie man sie schon in den biblischen Psalmen findet oder in den Schriften christlicher oder sufistischer Mystiker. Das macht den Song zu einem universellen Klassiker, der auch zu einem modernen Leben passt, wo wir uns zwar schneller und weiter bewegen können als in früheren Epochen, aber dabei doch nur ständig in Bewegung und auf der Suche bleiben.