Was von der Löffel-Liste blieb…

Verschiedene Löffel (Foto: Phiwat Chuangchoem via Pexels)
Verschiedene Löffel (Foto: Phiwat Chuangchoem via Pexels)

Im Jahre 2010 erstellte ich für meine Schüler eine persönliche Löffel-Liste, in der ich aufführte, was ich in meinem Leben vielleicht nochmal erreichen möchte. Dreizehn Jahre später ist davon nicht mehr viel geblieben.

2010 sah die Welt noch etwas anders aus, sowohl geopolitisch, als auch ökologisch, wie auch in meinem persönlichen Leben, wo sich seither einige Katastrophen ereigneten, welche die damaligen Punkte auf meiner Löffel-Liste banal erscheinen lassen. Damals las sich die Löffel-Liste wie folgt:

Meine persönliche Löffel-Liste aus dem Jahr 2010

  1. Alle Eissorten ohne Alkohol ausprobiert haben
  2. Von meinen drei Lieblingsbaumsorten Birke, Kastanie und Linde je drei aufziehen
  3. Segeln und auf einem Pferd reiten lernen
  4. Den Ort besuchen, wo ich entstanden bin
  5. Sich glücklich verlieben
  6. Eine süße kleine Tochter bekommen und erfolgreich großziehen
  7. Mit einem lieben Menschen in der Karibik an einem Strand den Sonnenuntergang betrachten
  8. Acht Freunde beisammen haben, die diesen Namen auch verdienen
  9. Gemeinsam mit anderen den Sonnenaufgang auf dem Berg Sinai/Horeb erleben
  10. Sieben Mittsommernachtsnächte zauberhaft durchfeiern
  11. Ein kleines Gotteshaus bauen oder restaurieren
  12. Das eigene Grab entwerfen und ein passendes Requiem komponieren

Von diesen vielen Punkten hat sich noch keiner wirklich erfüllt und teilweise würde ich das inzwischen so auch nicht mehr als Ziel ansehen…

1. Alle Eissorten ohne Alkohol ausprobiert haben

Anti-Alkoholiker bin ich geblieben, aber eine Gürtelrose-Infektion im Jahr 2022, die meinen Kiefernerv schädigte, hat mir das Essen von Eis gründlich verleidet, denn es tut seither weh. Und Masochist bin ich keiner, weshalb ich seither eigentlich kein Speiseeis mehr gegessen haben. Es sieht auch nicht so aus, als wenn sich daran noch etwas ändern würde, aber wenigstens sind mir keine offensichtlich sichtbaren Schäden geblieben, außer wenn ich versuche zu lächeln.

2. Von meinen drei Lieblingsbaumsorten Birke, Kastanie und Linde je drei aufziehen

Als ich diesen Punkt damals auf die Liste setzte, standen in meinem Garten bereits zwei Freundschaftskastanien, eine weitere ist wild gewachsen. Von den anderen Bäumen fehlt bislang jede Spur, wobei dieser Punkt zumindest noch erfüllbar scheint, abgesehen davon, dass mir in den letzten 13 Jahren sehr viele andere Bäume im Garten wegen der Trockenheit verendet sind.

3. Segeln und auf einem Pferd reiten lernen

Weder das eine, noch das andere habe ich umgesetzt, dafür aber einen langweiligen normalen Führerschein erworben, an dem ich aber bislang kaum Freude fand, da ich Autos immer noch nicht mag.

4. Den Ort besuchen, wo ich entstanden bin

Auch dieser Punkt wurde verworfen, weil, von einigen symbolischen Stärken abgesehen, der Ort sich wohl nicht lohnt, wahrscheinlich inzwischen zuzementiert ist mit billigen Tourismusbetonwüsten. Seit 1974 haben sich die meisten Orte auf dieser Welt nicht positiv entwickelt.

5. Sich glücklich verlieben

Nach einigen herben Enttäuschungen habe ich die Lust an solcherlei Verbindungen restlos verloren, denn es gibt keine Treue unter den Menschen. Außerdem bin ich für sinnvolle Beziehungen dieser Art wohl auch zu alt inzwischen, deshalb entfällt auch Punkt 6.

6. Eine süße kleine Tochter bekommen und erfolgreich großziehen

Wenn ich diese Erde verlasse, werde ich wohl keine Nachkommen und wohl auch keine bleibenden Akzente gesetzt haben. Das entlastet mich aber auch von der Hybris, zu glauben, die Welt retten zu können und die üblichen Fallen von Erwachsenen (Stichwort: Helikopter-Eltern) sehe ich so auch nur aus der Ferne. Abgesehen davon habe ich mir in der Fiktion einige „Töchterlein“ ausgedacht, was durchaus witzig ist und dann eben reichen muss. Letztlich ziehen echte Kinder irgendwann auch nur davon und man ist wieder allein, denn, siehe 5, es gibt keine Treue unter den Menschen.

7. Mit einem lieben Menschen in der Karibik an einem Strand einen Sonnenuntergang betrachten

Ich habe in Wales mehrere Sonnenuntergänge betrachtet an einfachen Stränden und allein. Das war ganz nett. Das muss dann reichen. Den Rest kann man sich dazu fantasieren.

8. Acht Freunde beisammen haben, die diesen Namen auch verdienen

Inzwischen halte ich es für mehr als illusorisch, dass man überhaupt acht Freunde gleichzeitig haben kann, die diesen Namen auch verdienen. Wenn man einen echten Freund hat in dieser Welt, ist das in der heutigen Zeit in meinem Alter schon viel.

9. Gemeinsam mit anderen den Sonnenaufgang auf dem Berg Sinai/Horeb erleben

Nun ja, es muss nicht der Sinai sein, wie ich inzwischen finde, kleine spirituelle Momente reichen schon aus. In der Zeit, in der man das Kreuz hauptsächlich nur noch von hinten sieht – auf der Flucht und in Selbstzweifel verheddert, bin ich für jeden spirituellen Ort dankbar, den man noch besuchen kann. Davon gibt es zwar nur ganz wenige am Hochrhein, aber man muss nehmen, was man kriegt. Letztlich sind spirituelle Momente auch nicht herbeizwingbar, sondern Gnadenakte.

10. Sieben Mittsommernachtsnächte zauberhaft durchfeiern

Auch die letzten 13 Jahre waren in keiner Weise so geartet, dass ich irgendwelche Feiern mit Menschen hätte genießen können, derweil es wirklich keine in meinem Umfeld gibt, wo nicht dem Dämon Alkohol oder anderen Drogen gehuldigt wird. Daher ist mir die Lust auf gemeinsame Feiern mit anderen Menschen eigentlich auch vergangen. Ich möchte das nicht mehr. Ich bin ganz froh, wenn ich alleine für mich besondere Momente erleben kann. Statt zu feiern reicht mir heiliger Friede aus und auch der ist schon schwer zu kriegen in der heutigen Zeit.

11. Ein kleines Gotteshaus bauen oder restaurieren

Von allen Punkten bin ich diesem am nächsten gekommen, zumindest, wenn man Miniaturen hinzurechnet. Dann habe ich inzwischen einige winzige Klemmbausteinkirchen gebaut und noch zwei Städte aus hunderttausend Steinen drumherum. Auch an einem Wandbild habe ich mich ein bisschen versucht, dabei aber festgestellt, dass mir die Gabe zu sakraler Kunst wohl fehlt. Es kommt nicht über das Konventionelle hinaus. Es war wohl auch zu vermessen von mir zu glauben, ich könne sakrale Orte erschaffen.

12. Das eigene Grab entwerfen und ein passendes Requiem komponieren

Nachdem ich leider zu viele liebe Menschen verloren habe in den letzten 13 Jahren, nicht alle sind gestorben, aber alle gegangen, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass Denkmale nach dem Tod völlig belanglos sind. Statt also ein eigenes Grab zu entwerfen, wäre mir inzwischen am Liebsten, wenn meine Asche einmal ins Meer gestreut wird, möglichst weit weg von Lauchringen, wo zuviel aus meinem Leben bestattet wurde. Letztlich allerdings, da hat wohl Epikur recht, geht uns der eigene Tod nichts mehr an und insofern braucht es für mich auch kein Requiem, die Musik meines Lebens hat auch nie jemanden interessiert.

Der Sinn oder Unsinn von Löffel-Listen

Der eigentliche Sinn von Löffel-Listen ist wohl überhaupt, sich im vorausschauenden Denken zu üben und sich über sein eigenes Leben Gedanken zu machen.

Es macht nicht viel Sinn, sie als Abhak-Liste zu verstehen, insofern sehe ich die letzten Jahre, obschon sie für mich meistenteils sehr unangenehm waren, nicht als Scheitern an. Ich habe dafür anderes erlebt und es hat mir zumindest Tiefe gegeben – etwas, was man nicht erhält, wenn alles immer nach Plan verlaufen würde. Außerdem haben wir Menschen unsere Lebensalter. Was uns zunächst als erstrebenswert erscheint, darf also im Rückblick durchaus verworfen werden. Man kann sich allerhöchstens überlegen, was man mit dem Wissen von heute anders machen würde, da gäbe es in meinem Leben dann schon einiges. Doch sollte man sich hüten, sich in Gedanken zu verlieren, die im Konjunktiv II Irrealis formuliert sind, denn das ist meist nur eine sündhafte Verschwendung von Lebenszeit.

 

Über Martin Dühning 1523 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.