Nach dem Ende der Reise…

Winterliche Fantasylandschaft
Winterliche Fantasylandschaft

Ein Anime-Highlight des Jahres 2023 war „Frieren – Beyond Journey’s End“ (葬送のフリーレン), eine Fantasy-Serie, die beginnt, wo die anderen meist aufhören – NACH dem Ende der Heldenreise. Vor allem aber thematisiert sie die Trauer der Überlebenden.

Die Magierin Frieren, eine langlebige Elfe, hat zusammen mit dem Helden Himmel, dem Kleriker Heiter und dem Zwerg Eisen eine zehnjährige Heldenreise unternommen, die damit endet, dass sie einen Dämonenkönig besiegen und zurück zum Ort des Starts ihrer Reise kommen, wo sie als Helden gefeiert werden. Somit beginnt der Anime, wo andere enden, mit dem Ende der eigentlichen Reise. Die bislang 16 Episoden der Animeserie beleuchten das Nachleben der Helden, allen voran Frieren, die im Verlauf der Serie den Tod fast aller ihrer bisherigen Reisegefährten erleben muss – sie sterben an Altersschwäche, die nahezu alterslose Elfe Frieren dagegen scheint um keinen Tag gealtert.

Zwar findet Frieren im Verlauf ihrer Reise neue Reisegefährten, die junge Magierin Fern und den Krieger Stark, beides Ziehkinder der Helden Heiter und Eisen, doch bleibt sie stets im Verlust ihrer alten Kameraden gefangen, eine Trennung, die ihr erst langsam schmerzlich bewusst wird. Insbesondere ihre vertiefte Beziehung zu Himmel wird ihr erst im Verlauf ihrer Reise klar. Grundmotiv des Animes sind recht eindeutig Trauer und Verlustschmerz sowie die Stimmungen, die daraus entstehen. Frieren verhält sich äußerlich intellektuell kühl oder vorderscheinig kindisch, innerlich jedoch meist desinteressiert, antriebs- und ziellos, sich mit Nebensächlichkeiten ablenkend, viel deutet viel auf Depression hin – verständlich insofern, da sie als nahezu ewig lebende Elfe den Verlust aller ihrer vergangener und künftiger Kameraden erleben musste und muss. Niemand hat soviel entstehen und zerfallen sehen wie sie. Insofern sind auch Vergänglichkeit und die „Eitelkeit allen Tuns“ ständig wiederkehrende Motive und die Serie durchzieht eine teils quälend passive Stimmung, weil es Frieren genau an der Lebensenergie und dem naiven Optimismus fehlt, der das Genre oft durchzieht. Diese eher defaitistische Grundstimmung färbt auch auf ihre Begleiter Fern und Stark ab. Selbst die Gegner, die Dämonen, sind weniger klassische Bösewichte als Opfer ihrer eigenen Gesinnung und sich ihrer Vergänglichkeit und Sinnlosigkeit durchaus bewusst.

Rezensenten der Serie betonen oft, dass Frieren während der Serie eine starke charakterliche Entwicklung durchlaufe, was ich so aber bislang kaum bestätigen kann. Korrekt ist, dass ihre Begleiter Frieren ständig attestieren, dass sie sich verändere – was aber letztlich oft nur bedeutet, dass sie Frieren selbst nun in einem anderen Licht sehen. Häufige, meist parabelartige Rückblenden zu ihren Erlebnisssen mit Himmel oder zu ihrer Mentorin, der großen Magierin Flamme, zeigen eher, dass diverse Charaktereigenschaften Frieren auch früher schon zu eigen waren, sie mit sich allerdings in der Regel nichts anzufangen weiß und alles eher apathisch über sich ergehen lässt. Letztlich verhält sie sich oft nur deswegen anders, weil sie dem Drängen ihrer Kameraden nachgibt. Das zeugt (noch) nicht unbedingt von einer innerlichen Wandlung.

Es bleibt spannend, inwiefern sich Frieren im weiteren Verlauf der Serie wirklich weiterentwickelt. Immerhin behandelt der Anime seine Motive mit ästhetischer Tiefe, wenn er auch nicht die moralischen und ethischen Implikationen von Trauer und Verlust ausloten kann. Eine Antigone ist Frieren jedenfalls nicht, eher ein Barockpoetin im Stile von Gryphius, aber ohne dessen Glauben an einen höheren Sinn. Es wird sich zeigen, inwiefern ihre Reise zum „Paradies“ wirklich mehr ist ein ein halbherziger Versuch, ihre verlorenen Kameraden wiederzusehen. (Und aus einer gewissen inneren Logik des Animes bzw. der Mangavorlage von Autor Kanehito YAMADA wage ich zu bezweifeln, dass sich dort einfache Lösungen für die Sinnfrage bieten werden.)

Visuell bietet der Anime, produziert vom Studio MADHOUSE Inc., wirklich sehr schön gezeichnete Landschaften, flüssige Animationen und schöne Wettereffekte. Die Charaktere, für welche die Illustrationen von Illustrator Tsukasa ABE aus der Mangavorlage übernommen wurden, haben einen unverkennbaren Stil und sind weniger anorektisch gestaltet als in der Branche üblich. Sehr Die visuelle Darstellung versteht es, Inhalte symbolisch anzudeuten, statt platt zu präsentieren, trotz allem kommt aber auch ein gewisser Slapstickhumor nicht zu kurz. Musikalisch hat mir besonders das Outro gefallen, der Titel „Anytime anywhere“, gesungen von Milet. Auch optisch ist das Outro sehr interessant gezeichnet. Aber auch der Soundtrack von Evan Call (der unter anderem auch für „Violet Evergarden“ komponiert hatte), kann sich hören lassen.

Die japanische Originalbesetzung von Frieren, Atsumi Tanezaki, spricht die Elfe übrigens deutlich wehleidiger und apathischer als die deutsche Synchronsprecherin Julia Casper, bei der Frieren analytisch, stolz und teils sogar energetisch klingt. Auch Himmel wird von Alexander Merbeth jugendlicher gesprochen als das Original. Insofern wandelt sich etwas die Grundstimmung in der Synchronfassung Richtung Standard-Fantasy, aber ich sehe mir die meisten Animeserien ohnehin auf Japanisch mit Untertiteln an.

Die Serie erscheint seit Anfang Oktober 2023 bei Crunchyroll.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.