Die fehlende Freude bei der Ankunft…

Eine Dampflok der Ffestiniog Welsh Railway fährt in den Bahnhof ein (Foto: Martin Dühning).
Eine Dampflok der Ffestiniog Welsh Railway fährt in den Bahnhof ein (Foto: Martin Dühning).

Bedenkt man, dass ich doch eigentlich eine recht hoffnungsvolle, adventliche und überaus neugierige Person bin, wundere ich mich oft, warum ich Reisen so wenig genießen kann…

Reisen erschöpfen mich furchtbar: Es mag sicher an übermäßiger Sensibilität liegen, dass ich recht lange brauche, mich irgendwo zu akklimatisieren und an den katastrophalen Zuständen der öffentlichen Verkehrsmittel in Deutschland, aber gänzlich lässt sich meine Unlust, sich auf Reisen zu begeben, nicht damit erklären. Denn letztendlich mag ich Fahrrad- und Bahnreisen eigentlich sehr – also echte Bahnreisen mit echten Zügen, nicht solche in überteuerten Prestigebahnen, welche schon vom Interieur Flugzeugkabinen nachahmen. Ich mag altmodische Züge mit Abteilen und einer Geschwindigkeit, bei der man auch noch etwas von der Landschaft hat. Ich mag langsames Reisen.

Dass mich Reisen bewegen, scheint mir schon deshalb klar, weil Reiseträume die dritthäufigste Traumgattung sind neben den leidigen Böse-Nachbarn-Baustellen-Gartenzerstörungs-Alpträumen (Nr. 1) und Ex-Freundinnen-Zombie-Alpträumen (Nr. 2). Und die Reiseträume sind von diesen drei Gattungen eigentlich die schönsten, wenn es da auch meist nur auf eine Odyssee herausläuft, denn niemals kommt man an.

Doch das wundert mich nicht: Denn was mich an Reisen, ob im Traum oder in Wirklichkeit, am meisten bedrückt ist, dass ich so gar keine Freude am Ankommen habe. Die Ankunft bleibt leer. Das ist sicherlich biografisch bedingt, wenn ich bin in meiner Jugend zwar viel gereist, doch meist, gerade auch dort, wo mein zuhause hätte sein müssen, ließ man mich stets nur wissen, dass ich nicht willkommen bin. Dass ich nur geduldet bin. Dass man mich nicht so haben möchte, wie ich bin. Oder ich landete ganz in feindlichen lauten Umgebungen, Orte, die von Tod und Untergang befallen waren, von menschlichem Elend, sei es durch Demenz, Krankheit oder Hass, Hoffnungslosigkeit und kalter Gleichgültigkeit, wo ich nicht zur Ruhe kam, die an meinen Kräften zehrten, immer nahe dem Burnout. Und statt der Wärme und Geborgenheit, die ich mir gewünscht hätte, fand ich nur zwischenmenschliches Eis, ein Mandelbäumchen in Grönland. Menschen bin ich nur selten begegnet außerhalb der Zugabteile und Wartehäuschen. Jedenfalls nicht aber am Ort der Bestimmung. Selbst Erholungsreisen gerieten so zur Tortur. Ich habe sie dennoch unternommen, die Reisen, der wundervollen Reisefotos wegen und wegen der Hoffnung, die ein steter Teil von mir ist. Aber innerlich blieb ich rastlos und müde und ich fand nie etwas, das mir neue Energie gegeben hätte. Am ehesten erfüllte mich noch die Betrachtung des Meeres, weshalb viele meiner Reiseziele am Meer lagen, sei es in Ostfriesland, auf den Kanaren, in Sizilien, in Polen oder in Wales. Doch keines dieser Ziele beinhaltete Geborgenheit.

Da ich auf der Welt in meinen 48 Jahren Lebenszeit also niemals einen Ort fand, den zu erreichen sich gelohnt hätte, wundert es mich nicht, dass ich irgendwann auch die Lust am Reisen verlor, denn wozu sollte man aufbrechen, wenn man doch nicht wirklich irgendwo ankommen kann, weil dort zu sein keinen Sinn macht. Gut, ich kann dem ganzen immerhin eine philosophische Dimension abgewinnen, wenn ich mich an Georg Thurmairs berühmtes Kirchenlied von 1935 entsinne, welches den vielsagenden Text hat: „Wir sind nur Gast auf Erden, und wandern ohne Ruh‘, mit mancherlei Beschwerden, der ewigen Heimat zu…“ – ein Lied, dass in gewisser Weise überaus passend zum Wandernden Volk Gottes ist. Ich habe es sogar einst, 1996, in eine meiner Kompositionen übernommen, die den Titel trug „Martins Abschied“, eine Komposition, die wehmütig, aber kein Trauerlied war, denn ich habe eine fröhlichere Reisemelodie darüber variiert. Insofern existiert der Ort meiner Träume wenigstens im Jenseits der Ideen. Aber wirklich befriedigend ist das natürlich nicht. Denn auch pilgern kann man nicht wirklich ohne kontemplative Momente dazwischen. Und darum reise ich auch nur noch in meinen Träumen. Oder aber ich schreibe Abenteuergeschichten über kleine Wesen, die mehr Glück und Magie besitzen als ich.

Über Martin Dühning 1507 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.