Maria Jester, geborene Herzog, wurde am 13. März 1860 in Oberlauchringen geboren und verstarb dort am 15. Dezember 1948.
Über meine Ururgroßmutter sind mir nicht sehr viele Dinge überliefert worden, nur, dass ihr 88jähriges Leben ein sehr hartes gewesen sein muss. Sie entstammte als Mitglied der Familien Herzog und Matthis dem Oberlauchringer Dorfadel und erbte ein stattliches Haus in der heutigen Rathausstraße, direkt neben dem ehemaligen Gasthaus Hirschen. Das Haus steht heute noch, gegenüber dem Brunnen bei der ehemaligen Sparkasse Oberlauchringen. Zu dem Haus gehörte damals auch ein mondäner Garten, der heute dem Brunnenplatz gewichen ist und ein Foto daraus bildet das einzige Porträt von ihr ab, was mir vorliegt.
Als sie geboren wurde, 1860, gab es noch kein Deutschland im heutigen Sinne und Baden war noch ein souveränes Großherzogtum. Oberlauchringen war noch eine relativ kleine Wegsiedlung, immerhin mit geschichtsträchtiger Poststation, später erhielt es einen mondänen Bahnhof, der als Knotenpunkt geplant war. Im Umfeld des Bahnhofs entstanden Gründerzeitbauten und Villen, die heute längst vergessen sind. Unterlauchringen, Standort der Textilfabrik Lauffenmühle, übertrumpfte den Nachbarort Oberlauchringen sehr bald. Es war eine spannende Zeit, in die Maria Herzog geboren wurde.
Irgendwann am Ende des 19. Jahrhunderts heiratete meine Ururgroßmutter einen Mann mit Namen Jester, dessen Namen sie seither trug und welcher der Vater ihrer Kinder wurde. Da dieser allerdings – warum genau, ist mir nicht bekannt – nach Amerika auswanderte, angeblich, um dort reich zu werden im Goldrausch, zog Maria Jester ihre drei Kinder weitgehend in Alleinregie auf. Eine Frau mit Kindern im Stich zu lassen war gerade auch in der damaligen Zeit ein Affront, umso mehr muss man bewundern, dass Maria Jester es dennoch recht souverän schaffte ihre Familie allein durchzubringen, womöglich half ihr dabei auch ihre eigene Familie. Als ihr Mann dann im Alter eines Tages – so will es die Familienlegende wissen – wieder mittellos an ihre Haustür klopfte nach Jahrzehnten seines Amerikaabenteuers, habe ihn Maria Jester schroff abgewiesen mit den Worten: „Ich haa meinii Chind nuu ganz allei grooßzogge, nu brauchsch au nümmi choo!“. Über den weiteren Verbleib des alten Herrn Jester ist nichts mehr bekannt, nicht einmal seines Todesdaten. In der Familiengeschichte wurde er, abgesehen von dieser Anekdote, totgeschwiegen. Man hat ihm nie verziehen.
Etwas bedeutsamer dagegen wurde für Maria Jester ein anderer Mann, ihr Sohn Adolf Jester, mein Urgroßvater. Maria muss auf ihren Sohn unglaublich stolz gewesen sein, denn es gibt unglaublich viele Fotos von ihm, auch aus Kindertagen. Über ihren Sohn, der ein recht umtriebiger Lebemann und Frauenheld war, kursieren noch heute in Lauchringen einige Geschichten. Schließlich führte er während der Vorkriegszeit und Weimarer Republik nicht nur den ersten Fahrradladen in Oberlauchringen, sondern war auch einer der ersten „Automobilbesitzer“ von Oberlauchringen und fuhr einen noblen Mercedes. Wobei das so nur die halbe Wahrheit ist, weil Eigentümer des luxuriösen Wagens eigentlich sein Freund, der „alte Kraus“ war, mit dem er sich in den 30er Jahren auch so manche Abenteuer und Scherze erlaubte. Weniger erfolgreich war Adolf Jester allerdings als Unternehmer. Da es nicht so sein Ding war, Rechnungen zu tätigen und bei seinen Kunden Beträge einzufordern, verlor er zuerst die Fahrradwerkstätte (die sich in der Scheune neben dem Gasthaus Adler befand) und dann wurde auch das Familienanwesen verpfändet. Regelmäßiges Geld verdiente schließlich seine Ehefrau Margarethe Jester, geborene Spayda, eine seinerzeit sehr hübsche und abenteuerlustige Frau aus Pommern, die mit ihren Schwestern auf prächtigen Pferden eines Tages nach Oberlauchringen in das Leben meines Urgroßvaters geritten kam. (Was allerdings eine andere Geschichte ist.) Sehr harmonisch soll die Ehe dann aber nicht verlaufen sein, auch wegen der Geldprobleme und Frauenabenteuer ihres Ehemanns, der zunehmend glückloser war. Adolf Jester übernahm gegen Ende seines Lebens nur überaus ungesunde Hilfsarbeiten im Tunnelbau und bei örtlichen Eloxalwerken, weshalb er bald sehr krank wurde.
Maria Jester bekam das alles mit, und als sie 1948 starb, war das Haus schon nicht mehr in Familienbesitz. Das war durchaus mit einem deutlichen sozialen Abstieg verbunden, wie ihn allerdings auch viele andere deutsche Bürgersfamilien erlebten. Auf dem Foto wirkt sie trotz allem aber noch zufrieden – und dass sie trotz des sehr entbehrungsreichen Lebens 88 Jahre alt wurde, mithin zwei Weltkriege überlebte, das sagt schon einiges über sie aus.