Lehrer: von Medien keine Ahnung?

Schulunterricht mit klassischer Kreidetafel (Foto: Andrea Piacquadio via Pexels)
Schulunterricht mit klassischer Kreidetafel (Foto: Andrea Piacquadio via Pexels)

Immer wieder hört und liest man die Mär von den deutschen Lehrkräften, die angeblich keine Ahnung von Technik hätten und die sich jeglicher technischen Neuerung verweigern würden. Bloß: Es stimmt einfach nicht!

Die Macht der Vorurteile

Es mag sein, dass es sie einmal gegeben hat, die Lehrkräfte, die sich jeder Technik verweigern und die mit dem Motto unterrichten: „Ein Stück Kreide genügt!“. Und ja, eine einzige Person, die diese Ansicht sehr offensiv vertrat, habe ich in meinem Lehrerleben auch leibhaftig angetroffen, so ganz am Anfang meiner Lehrerzeit vor zweiundzwanzig Jahren, 2002 – und sie schied dann auch gleich 2003 aus dem Dienst aus, ich war quasi ihr Nachfolger. Und obwohl ich gute Kreide und Tafeln zeitweilig wirklich gern einsetze, würde ich mich niemals darauf beschränken wollen und ich kenne auch niemanden, der dies wollte. Computerferne Lehrkräfte habe ich in meinem Leben seither kaum noch erlebt, es waren vielleicht eine Handvoll, und sie wurden alle vor mindestens 10 Jahren pensioniert.

Die heutige Lehrergeneration würde ich als äußerst technikaffin bezeichnen. Es gibt Kolleginnen, auch das habe ich schon erlebt, die bei Stromausfall nicht mehr unterrichten können, weil es ohne Technik an den Schulen angeblich gar nicht mehr geht. Als vor Jahren die umstrittene Handy-Regelung am Hochrhein-Gymnasium beschlossen wurde, hatte ich das Gefühl, dass sie vielen Kollegen dazu diente, sich eher vor dem eigenen ausufernden Social-Media-Konsum zu schützen, mit zweifelhaftem Erfolg. Es gibt so gut wie keine Lehrkraft, die kein Smartphone hat und benutzt. Es geht gar nicht mehr ohne in Zeiten digitaler Klassenbücher und Meeting-Software.

Davon zu reden, die aktuelle Lehrergeneration wäre technikfern, wie es manche Politiker tun, auch zuletzt bei der Podiumsdiskussion am Hochrhein-Gymnasium, das geht völlig an den Tatsachen vorbei. Benutzt wird die Technik im Schulalltag inzwischen von allen.

Warum Lehrer gemeinhin als altbackene Typen dargestellt werden? Das liegt wohl daran, dass sich ein jeder für einen Experten der Schule hält und dabei vor allem an die eigene Schulzeit denkt. Und ja, die Lehrkräfte damals, vor einem halben Jahrhundert, waren altmodischer – denn es ist ja oft schon viel zu lange her!

Mit der realexistierenden Schule von heute haben diverse Vorurteile aber meist nichts mehr zu tun. Schule hat sich gewandelt, ist wesentlich pluraler und multikultureller geworden und die Lehrkräfte von heute haben mit den Anzug tragenden grauen Studienräten der frühen Bundesrepublik nichts mehr gemein.

Die heutige Lehrkraft ist kein bloßer Fachstudierter mehr wie anno dazumal, sondern fächerübergreifender Lernbegleiter, Moderator, Mediator, oft Erziehungsersatz, teils auch Therapeut, und arbeitet aus gesundem Selbstschutz im Team, um nicht unterzugehen. Lernsysteme wie Moodle und eine zumindest rudimentäre Cloud und Messaging-Software gehören zur Standardausrüstung jeder Schule. Hinzu kommen, je nach Schule, noch unterschiedliche Apps und Softwareplattformen mit Cloudanbindung (Collabora, Office 365 etc.) und an sehr vielen Schulen digitale Stundenplaner und Klassenbücher wie Webuntis. In Baden-Württemberg wird offiziell der Messenger Threema für den Austausch von Messages empfohlen, der zwar weniger verbreitet ist als die US-Dienste, aber durchaus sehr solide und praktisch im Einsatz.

Neuerdings bündelt das Land wieder einige Dienste auf einer gelben Webseite mit dem Titel „SCHULE@BW“. Nach dem kläglichen Reinfall mit dem Projekt „Ella“ vor einigen Jahren soll hier nun endlich eine neue gemeinsame Plattform für alle Schulen angeboten werden. Neu sind die einzelnen Dienste aber nicht wirklich, die Sammlung auf einer symbolisch gelben Plattformseite dient wohl eher wieder repräsentativen Zwecken. Es wird sich zeigen, ob man aus den Fehlern von damals gelernt hat und diesmal etwas mehr auch auf Hardwareanforderungen eines so großen Projektes achtet. Wie auch immer: Das Land wirbt offensiv dafür.

Digitalisierung ist aber nicht nur deutlich von oben erwünscht, man wäre als Lehrkraft auch dumm, wenn man digitale Hilfen nicht nutzen würde, denn analog wäre das heutige Informationspensum kaum noch zu bewältigen. Schule ist heute sehr viel dynamischer und flexibler als im letzten Jahrhundert. So gibt es faktisch keinen fixen Stundenplan mehr, im digitalen Zeitalter ist der Stunden- und Raumplan tagesaktuell, Änderungen sind die Regel und werden fließend übernommen. Mailnachrichten und Messages erreichen den modernen Lehrer wie in jedem anderen Geschäftsberuf auch rund um die Uhr. Am Hochrhein-Gymnasium hat jede Lehrkraft ein Tablet oder einen Tablet-PC, denn ohne ließe sich der Schulalltag nicht mehr managen.

Die Lehrkraft von heute als technikfern zu bezeichnen geht daher an der Lebensrealität völlig vorbei. Eigentlich sind heutige Lehrkräfte eher Technik-Junkies.

Nicht bloß User, sondern Erzieher

Was man aber durchaus konstatieren darf ist, dass ein guter Teil der Lehrkräfte moderat technik-kritisch ist und nicht jede Neuerung jubelnd empfängt. Und das ist auch gut so! Wenn man Medienkompetenz vermitteln will, darf man nicht blind den Werbeslogans der großen Konzerne folgen, die einem eine jede Iteration von Software als heilbringendes Evangelium verkaufen. Wenn man den Lehrerberuf ernst nimmt, was die überwiegende Mehrheit der Lehrkräfte tut, dann ist Bildung ein personales Geschehen, welches sich nicht auf technische Verfahrensweisen oder gar eine bestimmte Software reduzieren lässt. IT ist somit nur ein Werkzeug für soziale Interaktion – im Mittelpunkt muss immer der Mensch stehen, nie die Technik.

Digitalisierung ist nur kostspieliger Nonsense, wenn man Texte, nur um hip zu sein, in ein Tablet kritzelt, statt – was immer noch wesentlich ergonomischer ist – mit gutem Stift auf gutem Papier notiert oder wenn man teure digitale Tafeln anschafft, die man dann aber nur genauso beschreibt wie Kreidetafeln, die sehr viel billiger sind und deutlich länger halten. Man muss, wenn man ehrlich ist, zugeben, dass digitale Medien nur zweite Wahl sind, wenn man einfach bloß analoge Techniken simuliert. Das verkennt dann allerdings auch ihr wahres Potential. Um dieses erweiterte Potential digitaler Medien auszunutzen, müssen Schüler aber auch weiterhin klassische Kulturtechniken beherrschen wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Darum gilt auch bei digitalen Medien der Matthäus-Effekt: „Wer hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch noch genommen, was er hat.“ Wenn das nicht berücksichtigt wird, verkommt so manches schöne Tablet zum Daddelgerät.

Digitale Geräte wie Tablets zeigen ihre Stärke besonders bei interaktivem oder non-linearem Storytelling und eben nicht, wenn man sie einfach nur als Abspielgerät benutzt, wie das häufig geschieht. Doch auch, wenn man digitale Geräte sinnvoll verwendet, also interaktiv und multimedial, muss ihre Stellung für das gesamte Setting des Unterrichtsgeschehens durchaus kritisch reflektiert werden. Als ich noch leitend tätig war als ITler am Klettgau-Gymnasium, habe ich mehrfach erfolgreich darauf hingewiesen, dass am pädagogischen Konzept von Klassenzimmern etwas ganz und gar nicht stimmen kann, wenn die technischen Geräte im Zentrum stehen und vor dem gutgläubigen Schülervolke angeordnet sind wie ein Hochaltar in einer mittelalterlichen Kirche. Was wird dann dort verehrt? Wie wird dann wohl gelehrt? Frontalunterricht, der so forciert wird, wird sicher auch nicht qualitativer dadurch, dass man die Lehrkraft durch einen Automaten ersetzt. Die Grundsätze der Freiarbeit und des offenen Lernens gelten nämlich gerade auch im digitalen Bereich. Hier ist die Unterrichtswirklichkeit leider tatsächlich noch weit von offenem Lernen entfernt.

„KI“ und „Digitalisierung“ als magische Glücksbringer

Das gilt auch im Falle der sogenannten „KI“, die denjenigen, die alle Probleme in Deutschland mit dem magischen Instrument der „Digitalisierung“ lösen wollen, momentan wieder sehr gelegen kommt als neues Heilsversprechen. „KI“ ist dabei oft nicht mehr als ein unverstandenes magisches Numinosum, etwas Mystisches, letztlich Unverstandenes, das irgendwie alle Probleme im Klassenzimmer lösen soll. Tatsächlich huldigt man dann den Formalismen einer bestimmten App, was alles andere ist als freies oder entdecken lassendes Lernen. Am besten fährt man, wenn man spielerischer herangeht – doch spielerisches Lernen erfordert mehr Zeit und Ergebnisoffenheit, als das G8 meist zulässt.

Immerhin kristallisiert sich langsam im Diskurs auch eine moderate Haltung heraus, die zu einem ausgewogenerem Urteil über Vor- und Nachteile der neuen Wirklichkeitssimulatoren kommt. Ihre Stärke liegt im Formalisieren, Kategorisieren, aber auch im experimentellen Produzieren formalisierter Datenstrukturen. Kunst- und Musiklehrkräften ist meist klar, dass KI-Werke dann nicht wirklich Kunst sind, bei KI-Texten besteht oft aber noch die Ansicht, dass hier die KI wahre Wunder vollbringe. Es klingt ja angeblich so schön formuliert. Dass es meist nur Wortfassaden sind, denen es an Tiefsinn mangelt, wird verschwiegen. Das sagt leider sehr viel über den Zustand der deutschen Schreib- und Lesekompetenz aus und es ist kläglich, dass selbst manche Lehrkräfte ihre Texte inzwischen von der KI schreiben lassen, selbst für so honorable Zwecke wie das schulische Jahrbuch. Womöglich muss eine Diskussion über den Wert der eigenen schulischen Arbeit endlich einmal geführt werden, nicht nur bei Schülern, sondern auch Lehrkräften. Wenn die KI hier mal eine längst überfällige Debatte über den Sinn von echter menschlicher Arbeit anstößt, wäre schon viel gewonnen.

Tatsächlich böte KI in der Schule aber auch darüber hinaus einiges an wirklich brauchbarem Potential, insbesondere, wenn sie dazu benutzt würde, die wiederkehrenden Automatismen wie den inzwischen überbordenden Formularkram im Lehrerberuf einzudämmen. Viel Zeit geht heute für Bürokratie drauf, die eigentlich nicht augenscheinlich etwas mit der pädagogischen Hauptaufgabe zu tun hat. Eine vollautomatische Anwesenheitskontrolle z. B. würde viele Klassenlehrer entlasten, die an den angeblich besseren digitalen Klassenbüchern und deren hakeliger Softwareumsetzung verzweifeln.

Assistenzsysteme könnten, als Ideenportfolio, fallweise alternative Lernwege aufzeigen oder gerade bei der im G8 völlig unterschätzten Lernwiederholung und Stoffvertiefung einspringen. So bekämen die Schüler dann auch direktes Lernfeedback, zumindest bei einfachen Aufgabenarten. Auch würde eine automatische Markierung eindeutiger Rechtschreibverstöße durch eine KI Zeit sparen, die dann für die viel wesentlichere Aufsatzdidaktik genutzt werden könnte. Generell ist KI ja besonders in den Bereichen gut, wo es um Formalisierungen geht.

Hemmschuh Bürokratie und Verrechtlichung

Eine sich zumindest teilweise selbstkorrigierende Klausur? Das wäre wirklich einmal eine echte Zeitersparnis für so manche Lehrkraft, nicht nur in Deutsch. Doch das dürfte der deutschen Bürokratie übel aufstoßen. Wenigstens eine teilautomatische Rechtschreibkontrolle? Schon hier wird die allgegenwärtige Verrechtlichung wieder einen Strich durch die Rechnung der Pädagogen machen – schließlich wäre das juristisch heikel – und wenn etwas juristisch heikel ist, wird es untersagt in Deutschland, was auch zur Folge hatte, dass Diktate und Grammatiktests seit 10 Jahren in Baden-Württemberg feinsäuberlich getrennt werden müssen bei Klassenarbeiten, obwohl das pädagogisch betrachtet völlig unsinnig ist Orthografie und Grammatik (deren Sinngrund) zu trennen.

Aus leidigen Erfahrungen heraus befürchten daher viele Pädagogen nicht ganz unbegründet, dass „Digitalisierung“ faktisch nur bedeutet, dass erneut symbolischer Aktionismus dazu führt die unbezahlten Zusatzarbeiten zu vermehren. Außerden würde selbst alltagspraktische Technik nur dann helfen, wenn sie auch permanent zuverlässig funktioniert. Das kann man von diversen „Black Boxes“ nicht sagen, die Lehrkräften in der Regel vorgesetzt werden. Erschwerend kommt hinzu: Das Kostenverschiebungsprinzip von Land auf Kommunen trägt nicht dazu bei, die Wartung empfindlicher technischer Anlagen zu gewährleisten. Also müssen es wieder Lehrkräfte selbst übernehmen. Und selbst wenn es so wäre, dass es an jeder Schule eine luxuriöse Fulltime-IT-Abteilung gäbe, so arbeiten hochkomplexe Systeme niemals hundertprozentig ausfallfrei. (Daher bin ich durchaus sehr zufrieden, dass ich und einige andere Lehrkräfte am Hochrhein-Gymnasium durchgesetzt haben, dass es neben den allgegenwärtigen digitalen Tafeln in jedem Klassenraum auch mindestens irgendwo noch eine klassische Schieferfläche gibt, auf die man notfalls schreiben kann, wenn die Technik mal hakt.)

Dem durchaus sinnigen deutschen Datenschutz ist geschuldet, dass zumindest offiziell in Baden-Württemberg deutsche Klassenzimmer Social-Media-freie Zonen sind. Dass also Lehrkräfte mit den Schülern durch TikTok oder Instagram wuseln oder Youtube schauen, ist offiziell eigentlich verboten. Denn die kommerzielle Datenverwertung der großen amerikanischen und chinesischen IT-Konzerne ist mit Datenschutz und Datensicherheit nicht kompatibel. Solche Dienste aus Klassenzimmern fernzuhalten, ebenso wie leidige Werbespots, wie sie immer häufiger eingeblendet werden in Softwareprogrammen, halte ich für sehr sinnig. Allerdings befeuert diese Konsumverweigerung einmal mehr das Vorurteil, deutsche Schulen hätten von Technik keine Ahnung. Daran, liebe Leute, liegt es nicht! Schule ist nun einfach mal kein Konsum- und Werbetempel! Und wenn sich Lehrkräfte dem Konsumismus verweigern, machen sie eigentlich nur ihren Job.

Nicht zuletzt gibt es aber noch die 10% der Lehrkräfte in jedem Kollegium, die nicht nur medienkompetent sind, sondern geborene Pioniere, die mit großem Eifer und meist unterbezahlt eigenes Material und auch eigene Software erschaffen, vielleicht dabei auch manchmal das Rad neu erfinden, in aller Regel jedoch nicht ernst genommen werden. Manchmal, wie bei der „Musterlösung“ in Baden-Württemberg, zieht man diese Pioniere auch offiziell für die Pionierarbeiten heran, um sie dann später – wie im Falle der Windows-Musterlösung – einfach fallenzulassen und durch „echte Profis“ zu ersetzen. Meist spielen auch hier juristische Formalismen im Hintergrund die Hauptrolle – aber man verschwendet so sehr viel vorhandenes Potential.

Wenn man engagierte Menschen ausbremst und mit einem überbordenden Wust von Regeln und Formalismen demotiviert, muss man sich auch nicht wundern, dass man keine jungen Menschen mehr für den Lehrerberuf begeistern kann – und das gilt leider auch für andere Sozialberufe wie Pastoral, Medizin und Pflege.

„Digitalisierung“ wird dieses Problem nicht lösen, bestenfalls beschleunigen.

Vielleicht sollte man einfach mal die Prioritäten anders setzen: mehr auf die Menschen hin!

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.