Den Sommer fühlen können…

Sommerfeeling (Foto: Pavel Danilyuk via Pexels)
Sommerfeeling (Foto: Pavel Danilyuk via Pexels)

Wenn Mode wirklich funktioniert, ist sie nicht nur Symbol, sondern Ausdruck eines Lebensgefühls – gerade auch im Sommer. Zumindest sollte Mode das sein, finde ich.

Sommer und Sinnlichkeit

Ich habe mich mit der westlichen Männermode des 20. Jahrhunderts zeitlebens nie anfreunden können und oft neidisch auf das geblickt, was Frauen tragen dürfen. Das liegt an der mangelhaften Form- und Farbvarianz ebenso wie an der Überbetonung von Praxistauglichkeit. Und wenn Männermode mal wirklich schick ist, ahmt sie ohnehin nur das formstrenge 19. Jahrhundert nach, beispielsweise bei Tweedanzügen.

Frauenmode dagegen betont eher die Sinnlichkeit, was besonders dann Sinn macht, wenn man ein sinnlicher Mensch ist – und eigentlich sind alle Menschen von Geburt an sinnlich, auch männliche. Das mit der Personalität und wahrer Emanzipation ist trotz betonten Genderings aber noch nicht wirklich in der Gesellschaft angekommen, zumindest nicht in der westlichen Männermode.

Einst führte ich an einem lauen, späten Augustnachmittag ein Gespräch mit meinem einstigen Kunsterzieher Roland Ueber, an das ich mich gerade in den Sommermonaten oft zurückerinnere, wenn ich beim Flanieren durch Augustlandschaften bewundernd sommerliche Menschen betrachte und ihre Haltung zur lichten Umwelt: Menschen, so meinte er damals, öffnen sich im Sommer, entfalten ihre Seele, während sie sich im Winter in Schalen verkleiden und in abgekapselte Räume zurückziehen. Der Sommer dagegen ist Weite und Selbstentfaltung, Freiheit und Sinnlichkeit – und da hatte er recht, zumindest, was die Hälfte der Menschheit angeht, die nicht in modische Korsetts und Männerbilder gezwängt wird.

Sommer ist die Jahreszeit für bunte Kleider in zarten, leichten Stoffen, die sich in sonnigen Brisen bewegen wie Blätter und Zweige einer Sommerweide am Fluss. Die Formen sind fließend, öffnend, wallend, die Muster von Kleidern oft hell und kräftig, ornamental verziert, beblümt oder frech mit allerlei kindischen Motiven versehen. Daneben gibt es jene Sommerkleider, die einer einzigen Farbe huldigen: Sonnenblumengelb, Himmeltiefblau, Ozeanazur, Lindgrün oder Klatschmohnrot. Aber auch das reine Weiß, dass sonst eher verpönt ist, feiert im Sommer ein lichtes Fest. Die Stoffe sehen sinnlich aus, fühlen sich wahrscheinlich auch so an, wenn Leinen, feine Baumwolle, Lyocell oder gar Seide zart über die Haut fließen. Daneben gibt es alle möglichen Formen und Schnitte – mit Anleihen aus allen sommerlichen Zeitaltern und Kulturen der Welt. Mode trägt damit ungemein zum Sommerfeeling bei – zumindest bei Frauen.

Westliche Männermode ist völlig unsinnlich!

Bei Männern sieht das leider anders aus: Auch im angeblich so emanzipierten 21. Jahrhundert nimmt man bei Männerkleidung weiterhin oft die Kraft aus den Farben, man muss dankbar sein, wenn es nur gedämpfte Naturtöne sind und keine absolut synthetischen Farben oder gar Grau. Ja: Es gibt Hawaii-Hemden, zumindest für alte Herren. Doch es bleibt das Problem, dass Männermode meist so geschnitten ist, dass sämtliche Rundungen, die ein normaler menschlicher Körper nun mal hat, auch ein männlicher, möglichst durch klare Kanten ersetzt werden – da fließt nichts mehr und kann auch kaum irgendetwas wallen und wenn doch, dann sieht es, durch gerade Schnitte, nur aus wie ein kantiger Mehlsack. Denn es bleibt wohl auch im 21. Jahrhundert ein Gemeinplatz, dass Männer wie Schränke auszusehen haben und der Stoff überspannt das nur. Ein Mann hat zu sein wie ein Baum: Groß, breit, kraftvoll gerade, außen harte Schale und innen nur Holz. Mit Sinnlichkeit ist da nichts!

Natürlich ist das nicht überall auf der Welt so: So bewundere ich asiatische, orientalische, indische oder afrikanische Mode, wo Männer neben bunten Farben auch wallende Gewänder tragen dürfen: Kaftan, Kurta, Yukata – bloß, in Mitteleuropa schickt sich das noch nicht. Wenn überhaupt, kann man das nur im heimischen Garten tragen oder bei Mittelaltermärkten oder auf alternativen Festivals. Als ich vor Jahren wagte, wallende Mittelalterhemden in der Schule zu tragen (und es war noch nicht mal eine Tunika!), legte man mir das gleich als Geschichtsfanatismus aus. (Wiewohl diverse „Mittelalterhemden“ eigentlich ziemlich unhistorisch sind.) Seither trage ich wieder langweilige Hemden und im Sommer sehr unbequeme, da viel zu warme Hosen.

So kann ich mich an heißen Juni- und Julitagen in der Schule nur darüber ärgern, dass Männerkleidung furchtbar unangenehm zu tragen ist bei hohen Temperaturen, denn sie liegt entweder zu eng an. Oder, wenn man etwas mehr Weite wagt, dann sieht es einfach nur schlampig aus. Denn außer wallenden (also zu großen) Sommerhemden und – was schon ein leichter sittlicher Affront ist: lässigen Cargohosen, bietet auch das Jahr 2024 nicht sehr viel Raum für Sommerfeeling bei der Männermode. Das liegt daran, dass westliche Mode weiterhin nur ein fragwürdiges Männerbild tradiert: Dass Männer Kraft statt Gefühl ausstrahlen sollen, mithin also nicht sinnlich sein dürfen.

Vielleicht wird dereinst nonbinäre Sommermode eine Lösung aufzeigen für jene, die einfach nur ganz Mensch sein wollen, die sich nicht so gerne in funktionale, aber unsensible Kleidung stecken lassen wollen. Aber jetzt, im Jahr 2024, ist das, zumindest wenn man staatliche Lehrkraft ist, noch nicht etabliert genug, damit man so einfach glücklich angenehm leben kann. Und Kleidung muss für mich vor allem „passen“, eben auch in Sachen Sinnlichkeit. Mode als symbolische Selbstergänzung, als politisches Statement oder zur Propagierung von Aktionismen interessiert mich dagegen nicht.

Denn ich möchte mich in Kleidung eigentlich nur wohlfühlen, nicht Anstoß erregen.

Über Martin Dühning 1489 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.