Der plakativen Vereindeutigung unserer Gesellschaft zum Trotz steht Lyrik wieder hoch im Kurs, insbesondere, wenn sie mit ihrem Ursprung, der Musik verknüpft wird. Ein Beispiel ist die schottische Songwriterin Karine Polwart.
Im Jahr 2024 hat sich die Welt insgesamt recht unerfreulich entwickelt, zumindest wenn man ein einigermaßen tiefsinniges und empathisches Gemüt besitzt. Schrille Töne herrschen im öffentlichen Diskurs vor, wo von mehreren Seiten versucht wird, durch teils bizzare Sprachregelungen, teils durch überaus plakative Hassbotschaften, die eigene Meinung durchzupauken.
Dem entgegen stellt sich aber schon seit der Corona-Pandemie ein Trend in den sozialen Netzwerken, der eine bewusste Verinnerlichung beschreitet – die große Beliebtheit von modernen Poetinnen wie Whitney Hanson in sozialen Netzwerken wie Tiktok oder Instagram beweist, dass die große Mehrheit der Menschen bei weitem nicht so verroht ist, wie es uns die untoten Horrorclowns der Weltpolitik glauben lassen wollen. Es besteht eine tiefe Sehnsucht nach Sinn und wahrer Emotion, nicht nur in der Generation der jetzt Zwanzigjährigen.
Ein Beispiel für gegenwärtige Sprachkunst ist auch die 1970 geborene schottisch-kanadische Songwriterin Karine Polwart. Während sie in ihrer früheren Schaffensperiode eher noch unauffällig dem schottischen Folk nahestand, haben sich ihre Werke in den letzten Jahren immer mehr einer individuellen, sehr modernen Lyrik angenähert.
Ihr Song „Wind Blown“ (Youtube) aus dem Jahr 2023 schwebt zwischen prosaischem Vortrag und klavierbegleitetem Gesang: Zudem ist auch die Metaphorik überaus kreativ. Das lyrische Ich in „Wind Blown“ ist eine Saberpalme, die in ihren letzten Minuten von ihrem Leben berichtet. Dem Gedicht liegt wohl ein historisches Ereignis zugrunde, als eine große Palme in einem Gewächshaus von einem Sturm zerstört wurde. Der Vortrag jedoch transzendiert diesen Vorfall zu einer Reflexion über den Sinn des Lebens und die Spannung zwischen Lebenserfahrung und einem (künstlichen) Zustand der Geborgenheit. Die Palme sehnt sich im Gewächshaus nach dem Sturmwind, der sie schließlich vernichten wird. Polwarts prägnant-schottische Aussprache verschärft die von ihr eingesetzten Alliterationen und Binnenreime, was ihrem Gedicht eine besondere Dichte verleiht. Das ist Sprachkunst, genau so sollte gute Lyrik sein!
Darüber hinaus ist „Wind Blown“ aber nicht nur ein Wortgedicht, sondern auch ein Song, auch die Sprechteile werden rhythmisch und melodisch vorgetragen. Sie strahlen damit eine tiefe innere Energie aus. Der deutliche schottische Akzent verleiht den Songs eine folkloristische Anmutung. Wie schon in ihrem letzten Album „Still as Your Sleeping“ (2021) ist die Begleitinstrumentation auf Piano reduziert, das von Dave Milligan gespielt wird. Milligan schafft es musikalisch, schottische Anmutung mit intellektuell zeitlos wirkenden Jazzakkorden zu verbinden, womit sich der Vortrag von der Ebene bloßer Folklore löst und deutlich weltgewandter wirkt. Überaus positiv bewerte ich auch, dass Polwarts Songs oft die üblichen Trackformate sprengen, sowohl in Spiellänge als auch bei der Komposition, die eine musikalische Progression aufweist, die man ja in der heutigen Unterhaltungsmusik oft vermisst.
Karine Polwart betreibt im Übrigen mit ihrer Lyrik durchaus keine Weltflucht. Teils nimmt sie aktuelle politische Entwicklungen mit in ihre Vorträge auf, stellt diese aber den Rahmen ihrer eher philosophisch universelleren Betrachtungsweise. In keinem Fall kommt dabei plakativer Aktionismus heraus, dazu ist sie viel zu intelligent und empathisch. So kritisiert sie beispielsweise in einigen Songs Donald Trump, dessen pompöse Golfplatz-Allüren in Schottland auf breite Kritik bei der Bevölkerung stießen, von einer eher reflektiven Ebene aus, die weit mehr ist als bloß Gegenparole. In ihrem Song „I Burn but I Am Not Consumed“ (Youtube) beispielsweise erzählt sie die Geschichte von Trumps schottischer Vorfahrin Mary Anne MacLeod und relativiert die pompösen Ansprüche des damaligen US-Präsidenten anhand der schottischen Natur:
„Oh son of Lewis, lonely boy,
hewn from granite, salt and sky
upon a foreign shore:
the ocean is a mirror gleam
in which you see yourself,
and nothing more.“
– Karine Polwart, I Burn but I Am Not Consumed (2017)
Auch in diesem Song ist das lyrische Gedicht übrigens ein Naturelement, in diesem Fall der Felsen der Insel Lewis. Die Urwüchsigkeit der elementaren Natur stutzt in den Gedichten und Songs von Karine Polwart oft individuelle Machtansprüche Einzelner zurück, lässt sie belanglos werden. Karine Polwart vertritt einen feministischen Standpunkt, der immer auch diese Fundierung in der Natur aufweist. Insofern begeht sie auch nicht den Fehler vieler anderer heutiger Feministinnen, die in Binarität verhaftet bleiben und bloß anti-männliche Positionen vertreten, die nicht weniger beschränkt wirken als die von ihnen kritisierten Männer. Diesen Fehler begeht Polwart nie: Frau-Sein bei Karine Polwart ist in der Natur der Elemente und im Leben verwurzelt und als solches mehr Lebenserfahrung als bloß Stereotyp. Bloße Stereotypen-Kritik würde auch nicht zu der sehr metaphorischen und allegorischen Sprache passen.
Während der Corona-Pandemie hatte Karine Polwart übrigens mit den beiden anderen bekannten schottischen Musikerinnen Mary Chapin Carpenter und Julie Fowlis ein gemeinsames, experimentells Projekt gestartet. Ihr neues Album „Looking For The Thread“, was gemeinsam erschaffen wurde, soll Ende Januar 2025 erscheinen. Ich bin schon sehr gespannt, wie sich der lyrische-reflektive Zug von Karine Polwart mit den Stilen der beiden anderen Musikerinnen verbindet.
- Webseite von Karine Polwart: https://www.karinepolwart.com/
- Karine Polwart auf Bandcamp: https://karinepolwart.bandcamp.com/
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