Von der Unsitte, Kinder die Welt retten zu lassen…

Syrische Kinder spielen in einem Flüchtlingslager (Foto: Ahmed Akacha via Pexels)
Syrische Kinder spielen in einem Flüchtlingslager (Foto: Ahmed Akacha via Pexels)

Je älter ich werde, desto wenigster halte ich von der Glorifizierung der Kindheit. Kinder sind nichts weiter als junge Menschen, die viele Erfahrungen erst noch machen müssen. Wer glaubt, sie müssten die Welt retten, tut ihnen Unrecht.

Generell komme ich recht gut mit Kindern und Jugendlichen aus, weshalb ich mich vor einem Vierteljahrhundert auch entschied, Lehrer zu werden. Kinder und Jugendliche haben aus meiner Sicht die Stärke, dass sie sich wie von selbst häufiger mal neu erfinden, was älteren Menschen schwerer fällt. Allerdings halte ich nicht sehr viel von der übermäßigen Glorifizierung des jungen Menschenalters, wie es sich bei uns in der westlichen Gesellschaft eingebürgert hat. Oft wird den Kindern damit viel Ideologie aufgebürdet und so getan, als müssten die noch „unbesudelten“ Kinder, Jugendliche und auch die Schule alles das retten, was in unserer Gesellschaft gerade schief läuft.

Das kann nicht funktionieren, wie ich nach 24 Dienstjahren als Lehrkraft ganz sicher festgestellt habe! Dazu haben Kinder und Jugendliche zu wenig Einfluss und selbst wenn sie ihn hätten, würde ihnen die nötige Lebenserfahrung fehlen, um die Lebenslügen unserer Gesellschaft zu durchschauen. Außerdem wird es den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht gerecht, wenn man von ihnen erwartet, dass sie dann künftig die Welt retten müssen. Das müssen sie nicht! Das ist nicht ihre Lebensalteraufgabe! In ihrem Alter haben sie ganz andere Projekte! Daher halte ich auch von der allgemeinen Inszenierung der Jugend als Klimaretter nicht sonderlich viel. Meiner Erfahrung nach täte die alternde Großeltern- und Erwachsenengeneration gut daran, wenn sie sich stattdessen an die wenden würden, die wirklich etwas ausrichten können und müssen: an sich selbst!

Die Zukunft ist etwas, das noch nicht ist, damit auch nicht festgesetzt, anders als die Vergangenheit, die wir nicht mehr ändern können. Je älter wir werden, desto mehr Vergangenheit haben wir. Dadurch überschätzen wir in zunehmenden Alter oft das, was nicht mehr geht und wir unterschätzen, was alles noch möglich ist, weil die Zukunft ja zu schrumpfen scheint. Was im Leben wirklich zählt sind aber weder Vergangenheit, noch Zukunft: Änderungen kann man immer nur im Jetzt vornehmen und faktisch nur durch uns selbst, nicht durch andere, auch nicht durch eine hypothetische künftige Generation. Wenn diese Welt also ökologisch nachhaltiger und gesellschaftlich sozialer werden soll, wenn Zerstörung und Unrecht verhindert und Krieg ferngehalten werden soll, dann müssen wir das selbst tun, nun, in diesem Augenblick, JETZT – und zwar mit den Mitteln, die wir gerade jetzt als gegenwärtige Menschen zur Verfügung haben.

Man darf niemals den Fehler machen, auf künftige Helden zu warten. Denn Helden gibt es nur in Sagen, Legenden und Märchen, aber nicht in der Realität. Das hat man gelernt, wenn man lange genug auf dieser Welt gelebt hat. Und deshalb wird auch die kommende Generation keine sein von Helden, die die Welt erlösen – es werden aus den Kindern Jugendliche, aus den Jugendlichen einfach nur wieder neue Erwachsene werden, die beim Altern Erfahrungen machen und sich dann aber auch nicht besser verhalten werden als es die jetzige Generation tut, was ich daher weiß, als ich als Lehrkraft bereits mehrere Generationen habe aufwachsen sehen. Und besser wird es auch nicht mehr: Schaut man auf das Wahlverhalten der Jungwähler bei den letzten Wahlen, wird es wohl künftig eher radikaler, extremistischer als besser. Den Weltfrieden können wir also nur im Hier und Jetzt anstreben und zwar mit der aktuell „regierenden“ Generation. Was diese nicht mehr hinbekommt, das werden auch künftige Generationen nicht mehr richten.

Frieden ist kein Zustand, Frieden ist vor allem auch eine gesellschaftliche Einstellung. Für Frieden und Gerechtigkeit sind aufrichtige Kompromisse nötig, Geduld, Fleiß und persönlicher Verzicht aus Rücksichtnahme, Toleranz gegenüber Widrigkeiten. Das ist nichts, was man von einer Generation erwarten darf, die nur Digitalisierung, Konsum, Perfektion und Selbstverwirklichung als Lebenssinn gepredigt bekommt. Denn das alles ist weder sozial, noch nachhaltig. Frieden ist auch nur dann echt, wenn er authentisch in der Realität (vor)gelebt wird:

„Man kann Werte nicht vermitteln, Werte realisieren sich im Handeln!“, wusste mein ehemaliger Religionspädagogikprofessor Werner Tzscheetzsch um die Jahrtausendwende zu sagen. Diese Werte können auch nicht digital wahr werden, sondern nur in der analogen Realität, würde ich 2025, ein Vierteljahrhundert später, noch hinzufügen. Dazu braucht es echte, analoge Vorbilder, die man am besten mit einem sozialen Jahr am Ende der Jugend kennenlernen kann, was man vor Jahren aber abgeschafft hat um der Ökonomie und Wirtschaft willen. Zudem wurde die Infrastruktur und das Sozialsystem kaputt gespart. Was damit gesamtgesellschaftlich erschaffen – oder besser gesagt: ruiniert wurde, erleben wir 2025 allerorten. Wahrscheinlich sähe es noch sehr viel schlechter aus, hätte nicht ein Heer von Migranten als Pflegehelfer, Busfahrer oder sonstige Niedriglohndienstleister dafür gesorgt, unsere kippeligen Systeme vor dem Kollaps zu bewahren.

Es ist auch nicht die Aufgabe der heutigen Kinder und Jugendlichen, die Fehler der letzten Generation auszubügeln. Man darf nicht andere für die eigenen Fehler verantwortlich machen: Das müssen die sein, die sie auch selbst angerichtet haben – denn um einen Fehler zu beheben, braucht es auch die gemachte Lebenserfahrung, um ihn überhaupt als solchen zu erkennen. Hat man diese nicht, kann man die Zusammenhänge nur mutmaßen und wird dann oft zu falschen Schlüssen kommen. Wirklichkeitsfern und geradezu arrogant ist das Verhalten der heutigen Tweenies, die so tun, als hätten sie Gendergerechtigkeit und Ökologie gerade erst neu erfunden. Sicher sind wir noch weit von einer gerechten Gesellschaft entfernt. Doch die wesentlichen Fortschritte wurden hier bereits in den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts eingeleitet – verglichen damit, fallen wir derzeit einfach nur wieder hinter die erreichte Gleichberechtigung und Aufklärung zurück. Das liegt meines Erachtens auch daran, dass man sich zu sehr mit plakativen Parolen und virtuellen Fassaden zufrieden gibt. Influencer können die Massen sicher wirksam manipulieren, sozialen Frieden oder nachhaltige Ökologie setzen sie aber nicht um. Das meiste an „Events“ ist nur Fiktion zwischen Technikidealisierung und Greenwashing. Stereotypendenken bei Geschlechtern überwindet man durch humane Akzeptanz echter Menschen, nicht dadurch, dass man neue stereotype Schubladen erfindet oder artifizielle Sprachregelungen. Wie kann man das überhaupt ernsthaft glauben? Vieles führe ich darauf zurück, dass „Digital Natives“ allzu oft virtuelle Fiktion mit echtem Leben verwechseln. Statt mit echten Menschen interagieren sie über stereotype Fassaden in Filterblasen und bekommen nicht wirklich den deutschen Alltag auf deutschen Straßen mit, weil sie sich in ihre privaten Wohlstandsoasen zurückgezogen haben.

Folglich brauchen wir mehr echte Lebenserfahrung, mehr Selbstreflexion als Selbstverwirklichung und echte Lebenshilfe untereinander im Alltag statt hippe Events und sadduzäische Benimmregeln, die von oben herab moralisierend in die sozialen Netzwerke gepostet werden. Wir täten sehr gut daran, wenn wir endlich das Ehrenamt und echte soziale Gemeinschaft neu schätzen würden – gerade auch den Schwachen gegenüber, den Alten und Kranken. Auch das kann man nicht einfach an die nächste Generation delegieren, dann ist es zu spät. Und wie sollen junge Menschen überhaupt damit umgehen lernen, wenn nicht durch gelebte Vorbilder, die echten Nächsten von nebenan?

Wir leben sicher nicht in der besten aller möglichen Welten, aber wir können jederzeit eine bessere erschaffen! Wir selbst, jetzt und in unserem direkten, analogen Umfeld!

Über Martin Dühning 1537 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.

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