NAIAD und die kleine weiße Wolke

Naiad, die Flussnymphe, bei ihrer Geburt im Bergsee und ihre Freundin, die kleine weiße Wolke (Screenshot)
Naiad, die Flussnymphe, bei ihrer Geburt im Bergsee und ihre Freundin, die kleine weiße Wolke (Screenshot)

Ab und zu erlebt man eine freudige Überraschung in der sonst eher monotonen Spielewelt: NAIAD ist ein echtes Indie-Highlight des Jahres 2024/2025!

Die ganz großen Spiele-Hoffnungen haben sich 2024 und 2025 für mich nicht erfüllt. Trotz mondänen Spiele-Engines waren die letzten Computer-Games, die ich mir zu spielen erlaubte, eher enttäuschend vorhersehbar: Pax Dei vegetiert im Early Access dahin, InZOI ist besser als Sims 4, aber nicht sehr viel gehaltvoller. Star Wars Outlaws und Assassins Creed Valhalla haben eine beeindruckende Open World, doch liegt es mir nicht, als Dieb oder Assassine mordend und stehlend durch die Landschaft zu ziehen. Throne and Liberty erneuert ein wenig das Konzept von GuildWars, lässt aber eine ebenso liebevolle Lore und Story vermissen. Es scheint, als koche die Spieleindustrie im eigenen Einheitsbrei…

Aber dann und wann gibt es doch noch freudige Überraschungen – und eine davon ist gewiss NAIAD. Das kleine Spiel, im Wesentlichen von einer Person programmiert, dem spanischen Entwickler HiWarp, entwickelt in der Spiele-Engine Unity, hat seine ganz eigene grafische Gestaltung und einen ebenso persönlichen Soundtrack – beides verzichtet auf den übermäßigen Bombast kineastischer Großtitel. Insbesondere aber brilliert das Spiel mit einer liebevollen Story, die einem ans Herz geht:

Wir begleiten in NAIAD den Lebenslauf einer kleinen Najade, also Flussnymphe, von ihrer Geburt in einem Gebirgssee über endlos mäandernde Flussläufe bis hin zum Meer. Begleitet wird die kleine Najade dabei von der kleinen weißen Wolke, die ihre erste Freundin wird. Auf dem Weg den Fluss entlang begegnet die kleine Naiad vielen Tieren wie verirrten Entenkindern, Fischen, Seeschlangen, Vögeln, Füchslein, muss zunehmend aber auch feststellen, dass die Menschen recht egoistisch und lieblos mit der Natur umgehen.

Auf ihrem Weg zum Meer sammelt Naiad manch verirrte Tierseelen ein und geleitet sie weiter (Screenshot).
Auf ihrem Weg zum Meer sammelt Naiad manch verirrte Tierseelen ein und geleitet sie weiter (Screenshot).

Statt Waffen besitzt die kleine Najade Gaben, die sie benutzen kann, um zu heilen und verlorenen Tierseelen zu helfen, allen voran durch ihren Gesang.

Naiad kann mit ihrem Gesang am Ufer pflanzen wachsen lassen (Screenshot).
Naiad kann mit ihrem Gesang am Ufer pflanzen wachsen lassen (Screenshot).

Was mir besonders gefallen hat, ist die sanft zugrundeliegende ethische Auffassung: Heilen wirkt besser als Gewalt, Zusammenführen besser als Spalten, statt allzu gerader Lösungen sind bei vielen Rätseln spielerische Umwege erforderlich. Die Najade bewegt sich fließend und kreisend durch ihre kleine Welt, das Spiel feiert die geheime Größe der kleinen Wesen. Leider ist die Najade bei ihrem Versuch, mit „Soft Power“ die Schäden großer Mächte auszugleichen, nicht immer erfolgreich. Gegenüber vergifteter Natur und Müll gehen ihr im Verlauf des Spiels zunehmend die Kräfte aus, während sie älter wird. Das Schicksal der armen kleinen Flussnymphe rührte mich teils sogar zu Tränen.

Später begegnet Naiad auch der personifizierten Dunkelheit, die ihr die (angebliche) Ausweglosigkeit ihrer Situation stets vor Augen hält. Doch die Botschaft des Games ist eben nicht, aufzugeben, sondern es DENNOCH immer wieder zu versuchen – und wenn auch nicht alle Rätsel sofort lösbar sind, nimmt einen das Spiel doch immer wieder an die Hand und die Najade erhält oft von unerwarteter Seite Hilfe, wenn die Situation ausweglos erscheint. Wichtig ist es, dass Gute allem äußeren Anschein zum Trotz zu versuchen, denn das Gute ist das Gute, was man tut und es entsteht, indem man es versucht. Naiad mag nicht sehr stark sein, aber alle ihre Taten haben Folgen, das eine greift in das andere – alles hängt zusammen, alles fließt, nichts bleibt – Heraklits berühmter Lehrsatz scheint Pate gestanden zu haben.

Πάντα χωρεῖ καὶ οὐδὲν μένει“
(Pánta chorei kaì oudèn ménei),
„Alles bewegt sich fort und nichts bleibt.“ – Heraklit

Doch Veränderung ist nicht das Problem, es ist die Bestimmung: Fast alle Probleme lassen sich lösen, wenn man spielerisch und mit Fantasie an sie herangeht, jederzeit besteht die Chance, dass es wieder gut wird: Das ist eine letztlich optimistische Botschaft, die ich in der heutigen Welt, wo egoistische Horrorclowns regieren, gerne viel häufiger hören würde und ich würde mir wünschen, dass es mehr Spiele wie NAIAD geben würde, die statt Untergang zu predigen oder Gewalt zu verherrlichen, zeigen, wie man die Welt durch geduldige Güte und Kreativität heilt.

Naiad träumt in der Nacht (Screenshot).
Naiad träumt in der Nacht (Screenshot).

Das Spiel hat eine ganzheitliche Botschaft, die auch synästhetisch umgesetzt wird: Musik und Grafik sind miteinander verflochten, alles ist fließend, dynamisch, in Veränderung – Leben ist Veränderung. Und so ist auch das Ende der Story – ohne zuviel zu verraten – wieder ein neuer Beginn. Es lohnt sich, dass Spiel mehrmals zu erkunden, denn bei nur einem Durchlauf im Kreislauf von Werden und Vergehen lassen sich sicher nicht alle Rätsel und Geheimnisse finden, die NAIAD anzubieten hat.

Aus meiner persönlichen Sicht ist NAIAD das beste Indie-Spiel seit Botanicula!

Erschienen ist NAIAD für alle gängigen Konsolen sowie auf Steam, im Epic Store und auf itch.io.

Weiterführende Infos

Über Martin Dühning 1573 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.

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